Anette Hofmann ist 58 Jahre alt. Sie arbeitet in Berlin-Tempelhof als akzeptierende Sucht- und Trauma-Therapeutin, baut mit einer Kollegin ein Start-Up im Bereich der Spiritualität und des Schamanismus auf und arbeitet nebenher in einer sozialen Einrichtung.
Wer die herzliche, lebensfrohe Frau mit den lila Strähnen im Haar heute sieht, würde kaum vermuten, welche Vergangenheit hinter ihr liegt. Wie schlimm der Missbrauch war, den sie überlebt hat, und wie sie ihren ganz eigenen Weg finden musste, um trotz dessen zu überleben.
Berlin: Frühe Erfahrungen mit Missbrauch
Anette Hofmann hat in ihrem Leben schon früh Kontakt zu Süchten gehabt. „Mein Vater war Alkoholiker, mein Großvater ebenfalls. Und auch die späteren Partner meiner Mutter hatten alle mit Alkohol zu tun. Sie selbst war co-abhängig“, erklärt die 58-Jährige im Gespräch mit BERLIN LIVE.
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Doch nicht nur das prägte ihre Kindheit und das frühe Erwachsenenalter. Auch seelischer wie körperlicher Missbrauch kamen hinzu. So erzählt die gebürtige Frau aus Bayern, einer der Freunde ihrer Mutter habe sie mehrfach begrapscht. Doch ihre Mutter wollte davon nichts hören.
Hofmann besuchte Klischee-Internat
Zwischen 11 und 17 Jahren kam sie dann in ein Klosterinternat. „Das war schrecklich für mich.“ Denn dort lag das Mädchen in einem Schlafsaal mit 100 anderen. Es gab kein warmes Wasser und wer nachts beim Tuscheln mit den Bettnachbarinnen erwischt wurde, musste „rausknien.“ Das bedeutet, man muss sich vor das Bett knien und so lange in der Position verharren, bis einem wieder erlaubt wird, ins Bett zurück zu kriechen.
Eine rebellische Phase in der Pubertät blieb damit weitestgehend aus. Doch danach war für Hofmann klar: „Jetzt bitte alles, was verboten ist!“
„Hauptsache, es macht die Gefühle weg“
Dabei experimentierte sie zunächst wie viele junge Menschen mit Alkohol. Doch da habe sie schnell gemerkt, dass das nicht ihre Droge sei. Also zog sie mit etwa 15 weiter zu Cannabis. Das reichte ihr aber bald nicht mehr aus. Etwa zwei Jahre später griff die heute 58-Jährige zu härteren Drogen.
„Da ich Krankenschwester war, kamen sehr schnell Tabletten dazu. Ich habe einfach nach Farben konsumiert. Ich habe sie aus dem Krankenhaus mitgenommen. Eine blaue, eine rote, eine gelbe. Sie zuhause eingeschmissen, zwei Bier drauf gekippt und geguckt, was passiert.“ Der Fokus dabei: „Hauptsache, es macht die Gefühle weg.“
Rührende Krankenschwester im Job – suchtgetrieben nach Feierabend
Nach den Tabletten kam schnell Heroin dazu. Da war sie „ungefähr 17 oder 18 und mit einem Junkie zusammen.“ Er habe sie zwar immer davon ferngehalten, aber irgendwann wollte die junge Frau auch einmal das „wohlig warme“ Gefühl verspüren, das er immer zu haben schien.
Parallel regulär zu arbeiten, war für die heutige Sucht-Therapeutin anfangs kein Problem. Sie habe damals oft Nachtschichten gehabt, an die sich vier oder fünf freie Tage anschlossen. „Sobald die Struktur und die Arbeit weg fiel, hatte ich Zeit, mich zu belohnen. Wenn ich frei hatte, dann wusste ich: Jetzt kann ich zwei Tage konsumieren und habe dann noch Zeit, zwei Tage zu entziehen.“
Nächster Halt: Entgiftungsstation in Berlin
In der Arbeit sei das lange niemandem aufgefallen. Doch eines Morgens dann der Cut. Die Entzugserscheinungen waren so schlimm, dass sie Medikamente nahm, „um sie irgendwie ertragen zu können.“ Doch die wirkten so stark, dass sie bei einem späteren Frühstück mit den Kollegen einschlief. Kurz darauf wurde Hofmann gekündigt.
Zwar sei das ein einschneidendes Erlebnis gewesen, doch die von ihrer Mutter und sich selbst verordnete Abstinenz hielt nicht lange an.
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Mit Anfang 30 zog es sie mit ihrem damaligen Freund, seiner Zeit beide heroinabhängig, nach Berlin. Die Ironie dabei: Hofmann begann in einer Entgiftungsstation zu arbeiten. Das selbe Spiel begann also von vorne.
Ex-Süchtige: „Es ist immer anstrengend“
Doch irgendwann hatte sie einfach keine Lust mehr auf den Teufelskreis. „Du brauchst immer etwas Neues, musst gucken, woher du das bekommst. Du bist immer on tour. Es ist immer anstrengend.“
Deshalb ging es für sie zunächst in die Entzugseinrichtung Count Down in Friedrichshain. Sie warben damals damit, „einen kalten Entzug in warmer Atmosphäre“ anzubieten. „Das fand ich sehr ansprechend!“ Neben täglichen Visiten kochte man zusammen, ging spazieren.
Anschließend folgte dann das, was Hofmann als „schönste Zeit ihres Lebens“ bezeichnet: eine dreimonatige Therapie am Wannsee.
Ein Spiel mit Leben und Tod
„Ich habe mich dort das erste Mal nüchtern kennengelernt. Wer ich bin, was ich für Stärken habe, was für Talente, aber auch, wo meine Schwächen sind, was mich so triggert, dass ich sonst zu Drogen gegriffen hätte.“
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Der Weg raus aus der Sucht schien geschafft! Für einige Jahre lebte Anette Hofmann clean, ging ihrem Beruf nach. Nur beim Feiern nahm sie ab und zu noch Koks.
Doch auch das weitete sich schnell aus. Aus Sicht von Hofmann hatte das aber nur positive Folgen. Nach mehreren Überdosen wurde ihr klar: „Ich spiele jeden Tag mit meinem Leben.“ So könne es nicht weitergehen. Eine weitere Symptombehandlung durch einen Entzug bringe nichts. „Ich musste mehr in die Tiefe gehen,“ um die Ursache zu finden.
Heute weiß sie: Verschiedene Traumata haben sie in die Sucht getrieben. Und diese „gehen nicht erst bei Übergriffen los. Das ist viel früher. Bei emotionaler Vernachlässigung, beim nicht gesehen werden, Bedürfnisse werden im Kindesalter nicht registriert oder erfüllt.“ Ironischerweise half ihr genau hier das Koks.
„Ich dachte immer, ich muss die ganze Welt retten.“ Doch erst der Egoismus, den der Konsum von Koks mit sich brachte, zeigte ihr, dass sie zunächst einmal sich selbst retten musste, bevor sie bei den anderen anfangen konnte.
Dieser Artikel ist der erste Teil einer mehrteiligen Reihe über den Kampf gegen die Drogensucht. Im folgenden Teil wird es um die Suche nach einem Therapieplatz gehen und darum, welche Hürden den Betroffenen dabei in den Weg gelegt werden.