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Clans in Berlin: Nichts ist wie es scheint – Insider gibt düsteren Einblick

Die Clans in Berlin gelten als gut strukturiert und höchst aggressiv. Doch was passiert im Inneren wirklich? Ein Experte packt aus.

© imago images/Jürgen Held

Verbrechen in Berlin: So viel Arbeit hat die Polizei in der Hauptstadt

Auch 2023 veröffentlicht die Polizei Berlin wieder die Kriminalitätsstatistik. Im Video erfährst du die wichtigsten Punkte.

Denkt man an Clankriminalität, dann schießen den meisten wahrscheinlich Bilder von Drogendeals im großen Stil durch den Kopf, von Entführungen oder sogar Ermordungen. Man sieht vor dem inneren Auge mafiöse Praktiken und Menschen, die für Profit alles machen.

Kein Wunder also, dass die Polizei alle Ressourcen zusammenzieht, um die Clans in Berlin zu bekämpfen. Dafür finden jeden Monat öffentlichkeitswirksam unzählige Razzien an vermeintlich bekannten Hotspots in Neukölln statt. Sei es in Shisha-Bars, Cafés oder Barbershops. Doch viel bringen tut das nichts, meint Experte Mohamed Amjahid. Aus seiner Sicht wird hier mit „Kanonen auf Spatzen geschossen.“ Im Interview mit BERLIN LIVE gibt der Investigativ-Journalist tiefe Einblicke in die Szene – und zu denjenigen, die sie jagen.

Clans in Berlin: Alles nur Show?

Aschaffenburg, München und Mannheim – in den letzten Monaten gab es mehrere Anschläge, die Deutschland schockierten. Oft stand dabei die Herkunft des Täters im Mittelpunkt – zumindest dann, wenn er nicht deutsch war. „Es geht in der Öffentlichkeit immer öfter um „den Fremden, der uns Böses will““, erklärt Investigativ-Journalist Mohamed Amjahid. Er recherchiert seit mehr als zehn Jahren zu Rassismus in Sicherheitsbehörden und hat diesem Thema sein Buch „Alles nur Einzelfälle? Das System hinter der Polizeigewalt“ gewidmet.


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„Dieser Diskurs wird durch gewisse Politiker und Medienhäuser mehr und mehr angefacht“, erklärt Amjahid und nennt namentlich große Zeitungen aus dem Axel-Springer-Verlag. Dort werde „ein Minusblick“ auf gewisse Stadtteile geworfen, kritisiert er. „Je öfter das passiert, desto mehr sind die Entscheidungsträger dazu angehalten, den Diskurs zu bedienen und der breiten Öffentlichkeit zu zeigen: „Wir sind tough, wir sind die Hüter des Gesetzes, wir greifen durch.““

Dass es so viele Razzien gebe, sei also eher eine Reaktion auf die Stimmung, als tatsächlich durch Zahlen gedeckt. Das zeige sich auch durch die Ergebnisse der Durchsuchungen. „Wenn man die Polizei im Nachhinein fragt, was sie dort gefunden haben, dann ist die Antwort sehr oft: „Nichts““, erklärt Amjahid.

Ergebnis der Razzien überrascht

Ein Blick in die Lagebilder Clankriminalität, die die Berliner Polizei jährlich veröffentlicht, bestätigt das. Gemessen an der Gesamtzahl der Straftaten betrug der Anteil der Clankriminalität in Berlin in den Jahren 2022 und 2023 nur etwa 0,2 Prozent. Dennoch wurden in beiden Jahren insgesamt fast 1100 Objekte durchsucht. Darunter Spätis, Wettbüros oder auch Shisha-Bars. Und was wurde vor Ort gefunden?

Die meisten Vergehen fanden sich bei unversteuerten Zigaretten. In beiden Jahren waren sie der mit Abstand größte Fang bei den Razzien – insgesamt wurden etwa 18.100 Zigaretten sichergestellt. Das nächste größere Vergehen waren dann unversteuerte E-Zigaretten. Aber auch Waffen gehörten zu den beschlagnahmten Gegenständen, doch mit weitem Abstand dahinter. Insgesamt waren es nur zwei – im Jahr 2022 und 2023 wurde jeweils eine Schreckschuss- oder Signalwaffen sichergestellt.

Schaut man sich dagegen die gestellten Anzeigen an, passen diese schon eher zu den Klischees über Clankriminalität, die durch Serien wie „4 Blocks“ gezeichnet wurden – zumindest in einem Jahr. Denn 2022 lagen Verstöße gegen das Betäubungsmittelgesetz auf Platz 1 der meist gestellten Anzeigen im Rahmen von Clankriminalität. 2023 wurde dieser Spitzenplatz aber gleich an eine neue Kategorie abgegeben: die Verkehrsstraftaten.

Die Polizei räumt hierzu ein, dass im Rahmen der „gezielten Kontrolleinsätze zur Bekämpfung der Clankriminalität auch Rechtsverstöße festgestellt werden, die nicht zwangsläufig dem Phänomenbereich zuzurechnen sind.“ Ob jemand allerdings zu schnell fährt oder ohne gültiges TÜV-Zertifikat unterwegs ist, hat eigentlich nichts mit den familiären Hintergründen oder der Nationalität zu tun. Aufgeführt werden die Vergehen in der Statistik zu den Clans in Berlin aber trotzdem.

Clans in Berlin: Polizei verteidigt ihr Vorgehen

Genau das stört Mohamed Amjahid. „Keine Bevölkerungsschicht ist von Kriminalität befreit. Wenn sie suchen, werden sie immer etwas finden“, sagt er. „Und das heißt nicht, dass sie im Grunewald nur Steuerhinterziehung finden. Dort gibt es auch genug andere Dinge, aber Razzien werden nicht durchgeführt.“ Dass hänge einerseits mit dem öffentlich wahrgenommenen Problemdruck zusammen und andererseits schlicht und ergreifend mit strukturellen Rassismus, so der Experte.

Benjamin Jendro, Sprecher der Gewerkschaft der Polizei Berlin (GdP), streitet das ab. Dass gewisse Stadtteile und gewisse Arten von Geschäften in den Blick der Behörden geraten, sei „ein Ansatz, Kriminalität effektiver zu bekämpfen.“ Es gehe dabei darum, dauerhaften Druck auszuüben und auch gegen kleinste Gesetzesübertretungen vorzugehen. Die Politik der eintausend Nadelstiche, wie dieses Vorgehen genannt wird, sei dabei zwar nicht das wichtigste Element bei der Bekämpfung von Clankriminalität, „aber ein wichtiges“. Und dazu gehöre eben auch die Feststellung von Schwarzarbeit oder nicht verzolltem Shisha-Tabak.


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Die heutigen Probleme im Bereich der Clankriminalität seien durch jahrzehntelange Versäumnisse des Rechtsstaates entstanden, meint Jendro. Das liege an „falsch verstandener Toleranz“ und dem Kleinreden von Missständen. So hätten sich „kriminelle Strukturen verfestigen konnten.“ Durch das Vorgehen wolle die Polizei nun das Klima bekämpfen, in dem der Staat als schwach wahrgenommen wird, als derjenige, der „nicht gegen Taten vorgeht“, so der GdP-Sprecher.

Dass Amjahid so über die Vorgehensweise urteilt, kann er nicht verstehen. „Ob die personell eingesetzten Ressourcen bei den Sicherheitsbehörden den Ertrag letztlich rechtfertigen, entscheidet am Ende kein Investigativ-Journalist“. Fragen auf die Wirksamkeit und Angemessenheit der polizeilichen Maßnahmen wirft die Perspektive von Amjahid aber sicher auf.