Mit AfD-Wählern reden? Das sollte keine Seltenheit mehr sein, denn laut Sonntagsfrage würde etwa jeder Sechste der Partei seine Stimme geben. Bei der kommenden Brandenburg-Wahl sollen die Werte sogar noch höher sein. Umso wichtiger, dass man in den politischen Diskurs geht und nicht die Türen verschließt, findet Daniel Domscheit-Berg, Mitbegründer des Verstehbahnhofs.
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Wer jetzt nur Bahnhof verstanden hat: Der Verstehbahnhof gehört zu einem Verein, der sich sozialen und infrastrukturfördernden Projekten in Fürstenberg an der Havel in Brandenburg verschrieben hat. Diese Arbeit ist politisch. Kurz vor der Brandenburg-Wahl noch mehr.
Der Verstehbahnhof und die Populisten
Daniel Domscheit-Berg war Sprecher und Publizist bei der Enthüllungsplattform WikiLeaks und Gründer von OpenLeaks. Unsere Redaktion trifft ihn in einer ehemaligen Bahnhofskneipe in Fürstenberg, genau eine Stunde entfernt vom Berliner Hauptbahnhof. Für Brandenburg als Standort für den Verein havel:lab habe viel gesprochen, erklärt Domscheit-Berg. „Die Mentalität hier mag ich gerne.“ Er sei eigentlich lieber im Osten als im Westen.
„Hier gibt es noch mehr Platz und die Möglichkeit, Dinge zu lösen. Es ist noch nicht alles so zu Ende optimiert.“ Doch es bleibt nicht alles positiv: „Gleichzeitig sind wir jetzt natürlich in einer Lage, dass das hier zunehmend unangenehmere Seiten hat. Aber umso wichtiger, dass man da ist.“
Unsere Redaktion will wissen, welche unangenehmen Seiten das sind. Domscheit-Berg erklärt, in Fürstenberg sei die AfD bei der letzten Kommunalwahl als stärkste Kraft hervorgegangen. Ein ähnliches Ergebnis ist auch für die Brandenburg-Wahl nicht unwahrscheinlich. „Dabei war die AfD in den gesamten fünf Jahren vorher die nachweislich faulste Fraktion. Die hatten drei Sitze in der Stadtverordnetenversammlung, davon waren nur zwei wirklich besetzt.“ Auch qualitativ sei das richtig schlechte Arbeit gewesen, erklärt Daniel Domscheit-Berg.
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Dass die AfD trotzdem so hohe Umfragewerte erreicht, erklärt sich der entschiedene Antifaschist so, dass Landes-, Bundes- und Europapolitik kompliziert seien. Viele Leute wüssten gar nicht genau, wo was entschieden werde. „Das spielt den Populisten natürlich in die Hände.“ In der Kommunalpolitik, bei der man sehr leicht erfahren könnte, welche Menschen sie machen, „da ist es umso unverständlicher. Es ist keine rationale Entscheidung, sondern eine, die gerade sehr aus einem Gefühl herauskommt. Dieses Gefühl ist nicht getrieben durch eine faktische Grundlage oder die Realität.“
AfD: „Die Welle ist noch gar nicht da“
Auch das Projekt des Verstehbahnhofs ist mit rechten Inhalten konfrontiert. Anke Domscheit-Berg sitzt für die Linkspartei im Bundestag, es ist bekannt, dass ihr Mann sozial engagiert ist. Der Verein havel:lab hat sich für Asylsuchende eingesetzt. „Das hat in den letzten Jahren immer mal wieder dazu geführt, dass wir auch angesprochen oder bedroht worden sind, aber das sind Einzelne.“ Das habe er nicht wirklich ernst genommen, berichtet Domscheit-Berg.
Aber: „Das hat sich verändert in der letzten Zeit, weil es vor allem junge Leute sind, die heute so eine AfD-Affinität haben.“ Wenn Domscheit-Berg, der ehemaliges Mitglied der Piratenpartei ist, über AfD-Wähler nachdenkt, glaubt er: „Die Welle ist noch gar nicht da. Wenn wir nicht heute etwas machen gegen diesen Rechtsruck, dann kommt die Welle erst, wenn in vier Jahren viel mehr AfD-Fans wahlberechtigt sind.“ Diese Welle seien die heute 14-Jährigen, die auf den Bahnsteigen rumsitzen und „mit extremen und kruden Thesen zu Hitler, zum Holocaust, zu ihren Großeltern überhaupt nicht hinterm Zaun halten.“
Wenn man sich mit diesen Jugendlichen unterhalte, „und das machen wir hier regelmäßig“, dann merke man, dass sie einseitig informiert sind. „Die sind alle bei der AfD auf TikTok und das ist eigentlich ihre einzige Informationsquelle.“ Das sei eine der Dynamiken, die zu der Entwicklung solcher rechten Werte bei den Jüngeren führen.
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Brandenburg-Wahl: Jeder vierte wählt AfD
Der Informatiker erklärt: „Die Algorithmen verfolgen eine bestimmte Metrik. Das führt dazu, dass wir soziale Medien haben, die die Gesellschaft spalten und den Populismus nach vorne katapultieren. Das ist einfach das, was der Algorithmus lernt. Und das ist natürlich Wasser auf die Mühlen von Parteien wie der AfD und dem BSW, bei denen die Antworten extrem unkompliziert sind. Das trifft dann wiederum auf vor allem junge Leute, deren Aufmerksamkeitsspanne aufgrund von sozialen Medien immer kürzer wird.“
Es seien aber nicht ausschließlich die Jungen, die für populistische Inhalte anfällig seien, so Domscheit-Berg. „Man muss da differenzieren zwischen einer Generation junger Leute, die wir komplett dem Abfall des Internets überlassen, und einer Generation, die älter ist, die andere Motive hat, heute die AfD zu wählen, gerade hier im Osten.“ Bei ihnen habe die Gesellschaft nie aufgearbeitet, warum sie dem Populismus anfallen.
Beim Verstehbahnhof kommen Domscheit-Berg und seine Mitstreitenden öfter mit jüngeren Menschen ins Gespräch. Diese hängen öfter auf dem Bahnsteig ab. „Manchmal führt das dazu, dass wir ins Gespräch kommen. Dass einfach jemand von uns rausgeht und sich mal dazusetzt und mal fragt: ‚Was macht ihr, was habt ihr vor, über was redet ihr hier gerade?‘ und wenn man in dieses Gespräch tiefer hineingeht, haben diese Jugendlichen oft viele Fakten noch nie gehört.“
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Der Jugend mangelt es an Medienkompetenz
Domscheit-Berg erklärt: „Erst mal wird alles angezweifelt. Wenn ich denen eine Statistik zeige, dass bei den männlichen Geflüchteten die In-Arbeit-Quote höher ist als unter Deutschen, dann sagen die: ‚Das zweifeln wir an. Statistisches Bundesamt, wer soll das sein? Das ist doch auch alles manipuliert.‘“ Grundlegende Kompetenzen im Umgang mit Informationen und Quellen würden diesen jungen Menschen fehlen, so Domscheit-Berg. „Viele von denen sind in dem Alter, in dem so etwas in der Schule noch gar nicht vorkommt. Wir haben ein riesiges Defizit in der Bildungsarbeit, wie wir überhaupt mit der digitalen Informationsrealität umgehen.“
Viele Kinder würden heute ihre Hausaufgaben mit Google machen und dann nur die ersten drei Treffer abschreiben, die eigentlich eine bezahlte Anzeige der Seite sind. Der Verstehbahnhof bietet auch aus diesem Grund eine Hausaufgabenbetreuung an, war bereits an Schulen aktiv, um dort die Medienkompetenz der Kinder zu fördern.
„Wir sehen, dass das in Schulen weit weg davon ist, was es sein sollte, also versuchen wir so ein bisschen, so gut wir das können, mit unserer Initiative hier diese Lücke zu füllen und auch ganz andere Wege, abseits von dem, was in der Schule machbar ist, zu beschreiten. Wir machen weiter Workshops mit Leuten und gehen in den Dialog.“
Brandenburg-Wahl: „Nie wieder heißt jetzt erst recht“
Domscheit-Berg hofft, dass die Brandenburg-Wahl und die vorausgegangenen in den neuen Bundesländern eine Art Weckruf sein werden. „Im Moment ist es sehr schwer, im politischen Umfeld Hoffnung zu schöpfen. Wenn man über den Teich guckt, in die USA, sieht man ganz gut, wie sich aussichtslos wirkende Situationen mit Donald Trump umkehren können, wenn man mal jemandem ein bisschen Hoffnung setzt. Aber da sehe ich niemanden hier bei uns – also wirklich gar nicht.“
Unsere Redaktion will wissen, was Domscheit-Berg tun wird, wenn die AfD bei der Brandenburg-Wahl ähnlich hohe Ergebnisse erreicht wie zuvor in Sachsen und Thüringen. „Wir rechnen mit der Katastrophe“, sagt er. Gehen will er aber auf keinen Fall. „Es gibt gewisse Punkte, an denen kann man nicht alles dem Zufall überlassen, und das ist zum einen eben Bildung, gerade rund um Digitalisierung.“ Das versucht der Verstehbahnhof zu ändern.
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Aufgeben und woanders hingehen sei keine Alternative. Wenn die AfD bei der Brandenburg-Wahl hoch abschneidet, dann „bleiben wir erst recht und arbeiten hier weiter. Nie wieder heißt jetzt erst recht!“