Das Thema Bürgergeld wird seit der Einführung der staatlichen Leistung 2022 ähnlich emotional und kontrovers besprochen wie zuvor Hartz 4. Beliebt sind Vergleich mit Einkommen von Geringverdienern, die aber 40 Stunden die Woche arbeiten gehen. Vor allem Leistungsbezieher aus dem Ausland, beispielsweise Flüchtlinge aus der Ukraine, stehen im Kreuzfeuer der Kritik.
Schnell ist davon die Rede, dass die deutschen Steuerzahler ausgenutzt werden. So kommt es, dass ein RTL-Beitrag aus dem Oktober 2023 weiterhin für hohe Wellen im Netz sorgt und auf X, Instagram, Facebook und über andere Kanäle ununterbrochen Verbreitung findet. Nun schaukelte sich die Diskussion so hoch, dass sich sogar eine RTL-Journalistin einschaltete.
Familie aus Afghanistan: „Keine Lust“
In dem Beitrag für die RTL-Sendung „Extra“ besuchte ein Reporterteam eine Familie in Schwäbisch Gmünd. Die Familie war vor den Taliban von Afghanistan nach Deutschland geflüchtet. Der Vater hatte für die Bundeswehr fünf Jahre lang gedolmetscht. Zusammen mit seiner Ehefrau und mit drei Kindern lebte die Familie zum Zeitpunkt der Dreharbeiten in einer 4-Zimmer-Wohnung auf 120 Quadratmetern.
Der Afghane zeigte sich „sehr zufrieden“ mit der Situation. Er habe „alle Möglichkeiten“ in Deutschland anzukommen, die Sprache zu lernen und die Kinder zu betreuen. Was viele RTL-Zuschauer und Kommentatoren im Netz besonders empörte, war die lasche Einstellung des Ehepaares zur Aufnahme einer Arbeit. Obwohl der Mann gute Deutschkenntnisse hatte, ging er damals noch keiner Erwerbstätigkeit nach.
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Bürgergeld-Gegenrechnung: Arbeitende Familie hätte mehr Geld
Er wollte zuerst versuchen, „besseres Deutsch zu lernen“. Danach strebte er ein Masterstudium an, in Afghanistan hatte er schließlich das Berufsziel, Diplomat zu werden. Eine Tätigkeit als Handwerkerin, als Erzieherin oder Krankenpflegerin lehnte auch seine Ehefrau strikt ab. Sie sagte auf Deutsch: „Wir haben nicht in unserer Heimat als Handwerker gearbeitet. Wir haben keine Erfahrungen und auch keine Lust.“ Das Ehepaar habe zu viel zu Hause zu tun und brauche noch Zeit für die drei Kinder. Ein Kind der Familie hatte eine besondere gesundheitliche Einschränkung.
RTL rechnete vor, dass die Asyl-Familie zusammen mit dem Bürgergeld und der Warmmiete, sowie weiteren Leistungen wie Deutschkursen und Gesundheitskosten, monatlich etwa 3.200 Euro netto vom Staat erhielt. Wobei hiervon 1.133 Euro für die Wohnung abgezogen werden mussten. Es handelt sich also nicht komplett um frei verfügbares Geld. Hochrechnet auf zwei Jahre, seit Einführung des Bürgergeldes, zahlte der Staat allein dieser Familie also rund 80.000 Euro.
3.200 Euro im Monat?
„Sozialarbeiter Simon“, ein Mann, der auf der Plattform X über das Bürgergeld aufklären will, nahm sich nun den RTL-Beitrag kritisch vor. Aus seiner Sicht ist die Rechnung des Senders schief. Tatsächlich habe die Familie aus Afghanistan im Jahr 2023 monatlich Regelsatzleistungen von 3.079 Euro erhalten. Davon müsse man aber 750 Euro abrechnen, denn eine erwerbstätige Familie mit drei Kindern hätte je Kind schließlich 250 Euro Kindergeld vom Staat bekommen.
Somit sei der Fall eher mit einer Familie mit 2.329 Euro Nettoeinkommen vergleichbar, also etwa einem Bruttoeinkommen von 3.000 Euro. Eine solche Familie aber hätte noch Anspruch gehabt auf 572 Euro Kinderzuschlag zuzüglich zum Kindergeld sowie etwa 738 Euro Wohngeld. So kommt der Bürgergeld-Experte auf die Gegenrechnung, dass eine Familie, selbst bei einem überschaubaren Einkommen von 3.000 Euro brutto, über 1.300 Euro netto mehr zur Verfügung gehabt hätte. „Aufregung wegen des Geldes also unangebracht“, so sein Urteil auf X.
Beitrag sorgt schon seit 2023 für Wirbel
Das sieht Liv von Boetticher, Investigativjournalistin bei RTL, ntv und Stern sowie Bestsellerautorin, ganz und gar nicht so. Sie verteidigt den Beitrag vehement: „Wir haben alle Zahlen von der Stadt Schwäbisch Gmünd bekommen, und zwar von den für die Familie zuständigen Stellen. Sie sind also 100 Prozent korrekt.“
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In rechten Kreisen kursierte 2024 sogar das Gerücht, RTL habe den kontroversen Beitrag schnell wieder aus dem Streaming-Angebot des Senders verschwinden lassen. Aufgrund der massiven Reaktionen sei dem Sender die Sache zu heiß geworden, so die Behauptung, die unter anderem vom österreichischen Boulevardportal Exxpress kam. Doch eine Sendersprecherin stellte gegenüber Correctiv klar: „Bei RTL+ sind Sendungen generell nur sieben Tage nach Ausstrahlung abrufbar.“