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Militärexperte Masala: Putin ist austauschbar – „Krieg hört nicht auf, wenn er nicht mehr Präsident ist“

Was passiert, wenn Wladimir Putin und Russland bekommen, was sie wollen? Das beantwortet Carlo Masala in seinem neuen Buch.

© Anna Weise; IMAGO / SNA

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Russlands Präsident Wladimir Putin gilt als das Gesicht des Ukraine-Kriegs. Doch Militärexperte Professor Carlo Masala warnt: Ein Machtwechsel in Moskau bedeutet nicht zwangsläufig das Ende der russischen Aggression.

In seinem neuen Buch „Wenn Russland gewinnt“ analysiert Masala die möglichen Folgen eines russischen Sieges. Zudem zeigt er, welche sicherheitspolitischen Herausforderungen auf den Westen unter einem neuen Kreml-Chef zukommen könnten.

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Wie stark hängt der Ukraine-Krieg von Putin ab?

Redaktion: Herr Professor Masala, wie das Buch bereits im Titel verrät, geht es um ein Szenario, bei dem Russland gewinnt. Kann Deutschland unter Merz zum „Gamechanger“ werden, durch die neuen im Bundestag beschlossenen Mittel?

Masala: „Deutschland kann damit kein Gamechanger werden. Wenn überhaupt, dann ist es die Aufgabe der Europäischen Union, die möglicherweise ausbleibenden Hilfslieferungen der Amerikaner vollständig zu ersetzen. Das ist allerdings schwierig, weil Lenkflugkörper für Patriot-Abwehrsysteme in Europa nicht produziert werden.“

Was benötigt die Bundeswehr jetzt besonders dringend mit den Zusatzmilliarden, um verteidigungsfähig zu werden?

„Man sollte sich darauf konzentrieren, in Koordination mit den anderen Europäern die sogenannten Strategic Enabler zu beschaffen – also Fähigkeiten, die bisher die USA im Rahmen der NATO bereitgestellt haben. Dazu gehören Lufttransport, Luftbetankung und satellitengestützte Aufklärung. Das sind essenzielle Elemente, die die Amerikaner den Europäern im Verteidigungsfall zur Verfügung stellen würden. Wenn sie das nicht mehr tun, entstehen für Europa erhebliche Lücken.“


Mehr über Professor Carlo Masala:

  • Professor für Internationale Politik an der Universität der Bundeswehr München
  • Zu seinen Forschungsschwerpunkten gehören die ​Theorien der internationalen Politik, Sicherheitspolitik und die transatlantische Beziehung
  • Co-Moderator des sicherheitspolitischen Podcasts „Sicherheitshalber“

Olaf Scholz hatte bereits nach Beginn des Ukraine-Kriegs die Zeitenwende ausgerufen. Wieso entsteht drei Jahre später der Eindruck, dass man die  Aufrüstung trotzdem nicht hinbekommen hat?

„Es ist nicht so, dass man es nicht geschafft hat. Das Geld wurde zu ungefähr 90 Prozent verausgabt. Letztendlich ist jetzt der Punkt erreicht, an dem die Industrie schnell produzieren muss. Die Annahme war von Anfang an unrealistisch, dass man 2022 einfach 100 Milliarden bereitstellt und 2024 dann alles fertig ausgeliefert ist.“

Wie stark hängt der Konflikt mit dem Westen an der Person Putin?

„Ich habe in meinem Szenario einen neuen russischen Präsidenten eingeführt. Das hat zum einen mit einem literarischen Spannungsbogen zu tun. Dahinter steckt aber auch die Idee, sehr deutlich zu zeigen: Es ist nicht Putins Krieg, es ist Russlands Krieg. Putin steht nur einer Gruppe von Menschen vor, die eine neoimperiale Agenda verfolgt. Wenn Putin morgen aus irgendwelchen Gründen nicht mehr Präsident wäre, wäre die Annahme falsch, dass der Krieg aufhört. Denn innerhalb des russischen Machtapparats gibt es einen großen Konsens über die Kriegsziele.“

Es dominiert dann jener Teil, der auch mit Putin zusammen diesen Krieg für Russland weiterführen möchte?

„Genau. Es gibt keine Opposition in Russland. Sie sind entweder alle tot oder im Ausland. Wenn Putin abtreten sollte, zum Rücktritt gezwungen wird oder stirbt, wird jemand anderes aus dem Machtapparat seine Stelle einnehmen.“

Das neue Buch von Prof. Carlo Masala.
Das neue Buch von Prof. Carlo Masala. Credit: C.H.Beck

Nun ist Putin immer noch an der Macht. Wie kann man mit einem Diktator wie ihm umgehen, der an keiner diplomatischen Lösung interessiert ist?

„Die einzige Sprache, die Putin versteht, ist die des politischen, ökonomischen und militärischen Drucks. Wenn er sich wie gestern (18. März) dazu bereit erklärt, die Angriffe auf kritische Infrastruktur in der Ukraine einzustellen, dann nur deshalb, weil die ukrainischen Angriffe auf die kritische Infrastruktur in Russland erfolgreich sind. Sein eigentliches Interesse ist es, seine eigene Infrastruktur zu schützen.“

Trump-Gespräch zeigt wenig Nutzen

Sie haben eben das Gespräch zwischen Trump und Putin angesprochen. Wie bewerten Sie ansonsten das Ergebnis des Gesprächs?

„Putin hat Trump über den Tisch gezogen. Er hat weniger zugesagt, als Trump Selenskyj gezwungen hat anzubieten. Selenskyj hatte zunächst eine 30-tägige Waffenpause für Angriffe aus der Luft und von der See vorgeschlagen. Putin verzögert die Verhandlungen und hat kein wirkliches Interesse an einem Waffenstillstand. Verhandlungstechnisch befindet er sich in einer wesentlich besseren Position als Trump.

Trump will einen Erfolg – und zwar um jeden Preis. Er strebt die Normalisierung der Beziehungen zu Russland an. Russland kann es sich hingegen leisten, die Verhandlungen hinauszuzögern oder sogar abzubrechen, um den Krieg weiterzuführen. Dadurch befinden sich die USA in der schlechteren Position.“

Russland setzt zunehmend auf hybride Kriegsführung, wie durch Desinformationskampagnen in sozialen Medien. Wie sollte der Westen darauf reagieren, um auch die Menschen wieder von den Plattformen abzuholen, sowie Meinungsbildung und Demokratie zu schützen?

„Mit Blick auf Social Media kann man, glaube ich, nur über Regulierung arbeiten. Es dauert immer zwei bis drei Tage bis Desinformationskampagnen aufgedeckt und richtiggestellt werden. Bis dahin geraten wir immer ins Hintertreffen. Denn was hängen bleibt, sind die Desinformationskampagnen – die Richtigstellung interessiert dann oft niemanden mehr. Hier müssen wir schneller und besser werden.


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Der entscheidende Punkt ist aber: Wir müssen viel stärker auf die Resilienz unserer Gesellschaft hinarbeiten. Wir müssen klarmachen, dass unsere Demokratien von innen heraus bedroht werden. Das betrifft nicht nur Desinformation, sondern auch Sabotage und Spionage. Es geht darum, deutlich zu machen, dass die Demokratie als Staatsform aktiv verteidigt werden muss – und zwar auf allen Ebenen: mit der Waffe in der Hand, aber auch im Gespräch mit dem zweifelnden Nachbarn.“

Das Buch „Wenn Russland gewinnt. Ein Szenario“ von Prof. Carlo Masala ist seit dem 20. März erhältlich (Verlag C.H. Beck, 116 Seiten, 15 Euro).